Unbehagen:
Wird die Islamfeindschaft zur Torheit des 21. Jahrhunderts?
Von Irene Runge
In Talkshows plaudert es sich enorm leichtsinnig
über eine »Inkompatibilität von Kulturen«, aus
dem Ärmel schüttelt man das Unbehagen. Die
große Aufregung hat auch eine gute Seite: Muslime
beiderlei Geschlechts, oft deutsche Staatsbürger,
kommen derzeit öffentlich zu Wort. Da
wird unerwartete Vielfalt hör- und sichtbar.
Es
gibt also säkulare Muslime, denen Traditionen
wichtig sind, religiöse, die an Feiertagen beten,
orthodoxe sowieso, gebildete großstädtische Muslimas, die freibestimmt ihre Männer wählen
und jene, die zwangsverheiratet nach Deutschland
kommen. Es gibt antireligiöse Kurden, die
bisher Türken genannt wurden und heute Muslime.
Weiß jemand, was es für zwangsverheiratete
muslimische Männer heißt, Ehefrauen zu haben,
die arbeitend ihren Mann stehen, während jene
ausländerrechtlich zum Nichtstun verurteilt
sind? Auch Muslime haben einen Zentralrat, aber
durch den fühlen sich viele nicht vertreten. Manche
Imame sind fromm, manche extrem, andere
reformorientiert. Unter den kopftuchtragenden
Frauen gibt es akzentfrei deutsch sprechende Soziologinnen,
und der Bart des Propheten zeugt
nicht nur von Glaubensstärke.
Der jüdische Zentralratspräsident Paul Spiegel
gibt mittlerweile öffentlich zu bedenken, dass es
neben deutschen Christen auch deutsche Juden
und deutsche Muslime gebe. Und noch viele
nichtdeutsche Muslime und Juden Deutschland.
Die Muslime beten in Moscheevereinen, die nicht
als Religionsgemeinden anerkannt sind, doch
wird ihre Religion baulich sichtbarer.
Am 15. Dezember
wurde in Berlin gar die Muslimische Akademie
in Deutschland gegründet, in der es, so die
Gründungsidee, um die Vielzahl muslimischer
Glaubensbekenntnisse gehen wird. So abwechslungsreich
konnten wir uns bislang nur das
abendländische Judentum denken.
Dem Jüdischen Kulturverein wurde lange Jahre nahe gelegt, aus förderpolitischen Gründen als
deutscher Verein religionslos jüdische Kultur zu
pflegen, denn der Glaube gehöre allein den Gemeinden.
Unser Zentralrat hätte es lieber, wenn
auch alle Russischsprachigen rabbinisch auf Jüdischkeit
hin geprüft werden könnten, ist aber
ansonsten erheblich liberaler. Für Muslime
scheint Identität einfach, denn wer immer sich zu
Allah bekennt, ist aufgenommen in den Kreis der
Gläubigen. Wir werden von Müttern ins Judentum
geboren und sind daher genau genommen keine
Weltreligion, sondern eine weit verzweigte Familie,
in der misstrauisch und eifersüchtig über die
Zugehörigkeiten gewacht wird.
Als wir uns am 19. November 2004 lautstark wider die Islamophobie geäußert haben, so auch deshalb,
weil uns diese Töne an die ökonomische, politische,
kulturelle, religiöse Judenfeindschaft des 19.
Jahrhunderts erinnern. Das organisierte Judentum
in Deutschland hielt sich mit solidarischen
Erklärungen zurück, und auch die großen Kirchen
blieben stumm. Und das, obwohl eine fühlbare
alltägliche deutsche Islamfeindschaft dem Antisemitismus
quantitativ in nichts mehr nachsteht.
Wie sagte Leo Baeck? »Wer immer in unserer
Mitte wohnt, soll nicht bloß räumlich neben uns
leben, sondern wie das bedeutungsvolle, oft wiederholte
Wort lautet, ‘mit uns leben’: sittlich mit
uns verbunden, menschlich mit uns verknüpft«.
So offen wollen wir weiterhin agieren und so eindeutig
wollen wir auch verstanden werden.
Der Migrationsrat Berlin-Brandenburg beobachtet mit größter Besorgnis
die aktuelle Debatte über die Verteufelung des Islams und Muslime und
warnt vor einer Verbreitung des Phänomens der Islamophobie, zumal einige
Medien das negative Bild des Islams vermitteln, in dem sie Muslime als
Terroristen und Feinde darstellen.
Der Sprecher Mounir Hussein betont: »Es
ist zweifellos wichtig, sich mit dem Islam in Europa auseinander zu
setzen.
Es sollten allerdings keine Konflikte geschürt werden.«
Genauso wichtig
ist es, dass Muslime hierzulande und deren Vertreter sich deutlich gegen
den Radikalismus stellen und auf die Lehre des Islams verweisen.
(Der
ganze Text unter www.mrbb.de/presse) |
haGalil.com - 06-06-2005 |