Der Traum vom anderen Deutschland:
An Stephan Hermlin erinnern
Von Andrée Leusink (geb. Leder)
Am 13. April 2005 wäre Stephan Hermlin, mit
bürgerlichem Namen Rudolf Leder, 90 Jahre alt
geworden. Er wuchs in seinen ersten 18 Jahren in
einer wohlbehüteten, kulturvollen jüdischen Familie
auf. Seine Mutter wie auch sein Vater pflegten
liberale jüdische Traditionen.
Prägend für ihn
waren die Hausmusikabende, die großen Maler,
Literaten und die Philosophen, die das Haus Leder
in Berlin belebten. Die große Bibliothek des
Vaters regte bereits den 4-jährigen zum Lesen an.
Seine ersten Vierzeiler unterschrieb er mit 7 Jahren
mit dem Pseudonym Stephan Hermlin. Er -
mein späterer Vater - erzählte mir, dass er in seiner
Kinderzeit anfing, die antiken Philosophen zu
lesen. Sein Vater hatte aber auch die Aufklärer
und Marx und Engels in der Bibliothek. Der Sohn
begeisterte sich an der Sprache und an der
Schlüssigkeit der Gedanken.
Stephan Hermlin 1988 Foto: privat
Von seinem 14. Lebensjahr an wurde sein Denken
immer stärker von solchen Werten beeinflusst.
Der Eintritt in den kommunistischen Jugendverband
1931, als 16-Jähriger, war für ihn ein logischer
Schluss. Er blieb dieser Haltung – der
Parteinahme für die Schwachen der Gesellschaft
– bis an sein Lebensende treu.
Mit der Machtergreifung
Hitlers 1933 fand seine humanistische
Erziehung und Bildung auf dem Gymnasium ein
jähes Ende. Er schrieb Artikel gegen die Faschisten
in der Schülerzeitung und anderen Blättern.
Daraufhin wurde er kurz vor dem Abitur von der
Schule verwiesen. Ab sofort beteiligte er sich an
der Widerstandsarbeit der Kommunisten. Seine
Mutter wiederum, meine Großmutter, ließ ihre
drei Kinder Berufe erlernen, sie bereitete auch so
ihre Ausreise aus Deutschland nach Palästina vor.
Stephan Hermlin heiratete 1935. Seine Frau
stammte aus einer orthodoxen jüdischen Familie.
Sie wie auch ihre Brüder waren aktiv in der Sozialdemokratie
organisiert. Anfang 1936 emigrierte
das junge Paar nach Palästina, aber 1937 wurden
sie in Frankreich ansässig. Die behütete Familie
existierte nicht mehr. Ich wurde geboren,
doch 1941 verlor mein Vater seine Frau und ich
die Mutter. 1943 verlor er auch seinen Bruder.
Nach der Besetzung Frankreichs wurde er wie
alle Kommunisten und Juden gejagt und floh mit
mir in die Schweiz.
Bis 1945 war er dort in verschiedenen
Internierungslagern. 1944 erschienen
seine ersten Gedichte. Nach der Zerschlagung
des Faschismus verließ er illegal die
Schweiz, Genossen halfen ihm, in Deutschland
wieder ansässig zu werden. In Frankfurt/M. arbeitete
er als Kommentator beim amerikanischen
Sender. 1947 verlor er die Arbeit, weil Kommunisten
nicht geduldet wurden. Die Auswirkungen
des beginnenden Kalten Krieges machten sich
bemerkbar. Er ging nach Berlin, in den sowjetischen
Sektor, träumte von einem besseren
Deutschland, wie so viele, und er stürzte sich in
die Arbeit, um diesem Traum zur Verwirklichung
zu verhelfen. Als Schriftsteller errang er nationale
und internationale Anerkennung. Nach 1989
blieb seine politische wie kulturpolitische Haltung
bis zu seinem Ableben am 6. April 1997
wahrhaft und ehrlich, doch sein Traum vom anderen
Deutschland blieb ein Traum.
Die Jüdische
Korrespondenz als PDF
haGalil.com - 15-06-2005 |